Ein Artikel von Dipl.-Ing.Jochen Schneider aus FMT 2/86
Wir wissen, dass der Auftrieb eines endlichen Tragflügels von seiner Streckung,
seiner Schränkung, seinem Auftriebsanstieg und von seinen Profilen abhängt.
Beschäftigt man sich näher mit der Frage, wie man den Auftrieb unter
Berücksichtigung dieser Faktoren berechnen kann, so stösst man beim Studium
der einschlägigen Literatur sehr bald auf den Namen Multhopp. Er hat ein
Berechnungsverfahren für dieses Problem entwickelt. Für uns Modellflieger
war dieses Verfahren bisher nicht sonderlich gut geeignet, da der Rechenaufwand sehr
hoch ist. Heute jedoch brauchen wir diese Schwierigkeite nicht mehr zu scheuen, denn
PC's können uns ja die Arbeit abnehmen. Die vorliegende Arbeit soll das
Grundsätzliche des Verfahrens von Multhopp darstellen.
Zu Beginn müssen wir uns zunächst mit der Arbeit eines anderen
Aerodynamikers auseinandersetzen, da diese den Ausgangspunkt für
das Multhoppverfahren bildet. Es handelt sich inbesondere um eine Gleichung
die Ludwig Prandl im Jahre 1918 entwickelt hat, mit dem Ziel, die Auftriebsverteilung
an endlichen Tragflügeln zu berechnen. (Abb.1)
Die Gleichung zeigt den Zusammenhang zwischen Flügeltiefe t, Anstellwinkel Alfa,
Auftriebsanstieg C, Strömungsgeschwindigkeit v und Zirkulation T. Das Verstehen
der mathematischen Zusammenhänge in dieser Formel ist für unsere Zwecke nicht
entscheidend. Wichtig ist aber die Bedeutung des Begriffes Zirkulation, denn diese ist
das Mass für den Auftrieb. Dividiert man die Zirkulation T durch die Spannweite
b und die Geschwindigkeit v, so erhält man einen dimensionslosen Wert der das
Mass für CA ist. Dieser Wert wird für das Multhoppsche Verfahren
benötigt.
Prandtl geht von folgendem Gedankenmodell aus: Er ersetzt den Tragflügel durch
eine umlaufende Strömung Abb. 2.
Die sogenannte Zirkulation. Man bezeichnet sie auch als gebundene Wirbel, weil sie fest an die Lage des Flügels gebunden sind. Die Achse dieser rotierenden Strömung fällt mit der t/4-Linie des Tragflügels zusammen. Die Stärke der Strömung nimmt von der Achse nach aussen hin ab. Die Drehrichtung verläuft so, dass sie unterhalb des Flügels zur Flügelnase und oberhalb zur Endleiste zeigt. Bewegt sich dieses Zirkulationsgebilde horizontal durch die Luft, so überlagert sich die geradlinige mit der zirkulierenden Strömung. Das führt auf der Flügeloberseite zu einer Addition der Strömungsgeschwindigkeiten, was Unterdruck gegenüber der Umgebungsluft erzeugt. Auf der Unterseite spielt sich der umgekehrte Vorgang ab: Hier entsteht Überdruck. Damit entsteht eine nach oben gerichtete Kraft, der Auftrieb. Die Zirkulationsströmung hört nun nicht, wie man vermuten könnte, an den Flügelspitzen auf. Nein, sie knickt vielmehr um 90° nach hinten ab. Siehe Bild 1 und 2.
Diese abgeknickten Teile der Zirkulation nennt man freie Wirbel. Infolge des Abknickens entsteht eine Übereckbeeinflussung der beiden Zirkulationsteile: Die freien Wirbel überlagern sich mit dem gebundenen Wirbel. Nun ist der Einfluss der freien Wirbel in der Flügelmitte sehr gering, weil der Abstand ihrer Achsen zur Mittellinie sehr gross ist. Die Beeinflussung verstärkt sich jedoch, je mehr man sich den Flügelenden nähert. Die Folge davon ist, dass die Stärke des gebundenen Wirbels und somit der örtliche Auftrieb von dem fast vollen Wert in der Flügelmitte kontinuierlich auf den Wert 0 an den Flügelenden abgebaut wird.
Insgesamt gesehen gelangt Prandtl mit diesem Gedankenmodell zu einem Druck-und
Strömungsbild, das den wirklichen Verhältnissen am Tragflügel
sehr nahe kommt. Diese Theorie, die man auch als Traglinientheorie bezeichnet
wird, wird mathematisch in einer Formel, der oben bereits erwähnten
Integralgleichung zusammengefasst. Es ist bedauerlich, dass man diese Gleichung
nicht mit den üblichen Integrationsregeln lösen kann. Viele Mathematiker
und Aerodynamiker versuchten deshalb, wenigstens einfache Näherungsverfahren
zu finden, was aber zunächst nicht gelang. Hier liegt nun der Verdienst von
Multhopp. Er fand ein übersichtliches und einfach anzuwendendes
Näherungsverfahren, das bahnbrechend für die Zukunft werden sollte.
Es wurde 1938 in der Luftfahrtforschung veröffentlicht. Multhopp berechnet
die dimensionslose Zirkulationsverteilung nur an bestimmten Stellen des
Tragflügels, den sogenannten Schnittstellen (Eta's). Deren Lage wird anhand
eines feststehenden Schemas ermittelt. Die Anzahl beträgt m = 3,7,15,31 usw.
Je grösser die Anzahl, umso grösser die Genauigkeit. 15 Schnittstellen
reichen schon aus, um eine befriedigende Genauigkeit zu erzielen. In den
Multhoppschen Verfahren lassen sich auch unsymetrische Profil- und
Anstellwinkelverteilungen z.B. Querrruderausschläge berücksichtigen.
Ich möchte mich auf symmetrische Verteilungen beschränken, weil dies
der häufigste Anwendungsfall ist. Es ist in diesem Fall nur eine
Flügelhälfte zu betrachten, wodurch sich die Aufzahl der Schnittstellen
(Rechenpunkte in Spannweitenrichtung) von 15 auf 8 reduziert. Das Schema
läuft im einzelnen in folgenden Schritten ab:
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1. Auftragen der Halbspannweite.
2. Kreisbogen um M mit dem Radius
b/2.
3. Unterteilung des 90° Winkels in 8 gleiche Teile.
4. Herunterloten der Kreisschnittpunkte auf die t/4-Linie ergibt die gesuchten
Schnittstellen Eta 1 bis Eta 8.
Dass die Schnittstellen diese Lage haben
müssen, hat mathematische Gründe, die ich hier weglassen möchte,
da sie sehr kompliziert sind und nicht zum Verständnis beitragen. Das Ermitteln
der Zirkulationsstärken an diesen so festgelegten Schnittstellen erfolgt mit
Hilfe eines Systems von linearen Gleichungen. (Abb. 5) Man setzt die Spannweite
b und die an den jeweiligen Schnittstellen angegeben Werte für den Anstellwinkel
und die Flügeltiefe ein. Danach löst man mit Hilfe der Gauss-Krüger-Methode das Gleichungssystem auf. Die Verteilung des Auftriebs ist nicht nur wichtig für die Festigkeit des Tragflügels, sondern genauso bedeutungsvoll für die Grösse des induzierten Widerstandes. Betrachtet man noch einmal das Gleichungssystem in (Abb. 5), so erkennt man, dass die Form der Verteilung dadurch beeinflussbar ist, dass man die Flügeltiefe, die Schränkung, den Auftriebsanstieg, oder alle Faktoren gleichzeitig variiert. Diese Einflussgrössen sind es, die letztlich die Auftriebsverteilung beeinflussen! Durch geschicktes Ändern kann man die elliptische Auftriebsverteilung und somit den geringsten induzierten Widerstand anstreben. Mit der Gleichung (1) in Abbildung 6 berechnet man den Gesamtauftriebsbeiwert und mit der Gleichung (2) in Abbildung 6 lässt sich der induzierte Widerstand des planaren Flügels berechnen. Damit ist das Wesentliche zur Theorie des Multhopp'schen Verfahrens gesagt. Und nun zur praktischen Anwendung: Alle Längenmasse, also Spannweite b und örtliche Flügeltiefe t müssen die gleiche Dimension aufweisen. Die Winkelmasse müssen im Bogenmass angegeben sein-nicht etwa in Winkelgraden. Alle Angaben in Grad sind daher durch den Faktor 57,3 zu dividieren, um das entsprechende Bogenmass zu erhalten. Beim Bestimmen der Anstellwinkel Alpha v an den Schnittstellen, die ja unter anderem von der Schränkung abhängen, geht man am einfachsten von der Nullauftriebsrichtung aus. Der Nullauftriebswinkel eines Profils ist der Anstellwinkel, bei dem kein Auftrieb entsteht. Wenn nun an allen Stellen des Flügels die Profile mit Ihrem Nullauftriebswinkel eingebaut sind, d.h. wenn alle Nullauftriebsrichtungen in einer Ebene liegen, dann ist keine Schränkung vorhanden. Schränkung entsteht erst, wenn die Nullauftriebsrichtungen gegeneinander verdreht werden. Die Verdrehung wird am einfachsten in Bezug auf die Nullauftriebsrichtung der Flügelmitte gemessen. Diese ist gegenüber der Strömung mit dem Winkel Alfa unendlich angestellt. Alle übrigen Anstellwinkel ergeben sich, indem man von Alfa unendlich die jeweilige Verdrehung der Nullauftriebsrichtung abzieht. Der örtliche Anstellwinkel, vorgegeben durch denjenigen in der Flügelmitte, wird gleichsam von der Schränkung überlagert. Liegt keine Schränkung vor, so ist demzufolge an allen Schnittstellen die Nullauftriebsrichtung unter dem Winkel Alfa unendlich angestellt.
Mit dem hier vorgestellten Verfahren ist es also möglich, die Auftriebsverteilung, den Beiwert des Auftriebes und des induzierten Widerstandes für einen Tragflügel zu berechnen. Dabei können Flügelform, Schränkung und Profilierung frei gewählt werden.
Sie müssen jedoch symmetrisch zur Mittellinie ausgebildet sein. Sprungstellen,
d.h. abrupte Veränderungen sind nicht zulässig. Der Auftriebsanstieg muss
im linearen Bereich liegen. Die t/4-Linie darf keine Pfeilung aufweisen. Bei Pfeilung
und schräg angeblasenem Flügel (Schieben) kann das Multhoppsche nicht
verwendet werden. Für diese Flügelformen haben B.Laschka und F.Wegener
1959 ein praktisches Verfahren entwickelt.
Dieses Verfahren von Laschka
eignet sich besonders gut für die Berechnung des Hortenflügels.
Das Verfahren von Truckenbrodt ist wesentlich umfangreicher und es lässt auch Knickstellen im Flügel zu. Darüber vielleicht später einmal mehr. Zum Schluss noch ein paar Sätze zu der erreichbaren Genauigkeit. Obwohl von den Profileigenschaften nur der Auftriebsanstieg in die Berechnung einfliesst, liefert das Mulhopp'sche Verfahren für Streckungen über 5 grundsätzlich sehr genaue Ergebnisse. Im Bereich des Modellfluges hängt der Nullauftriebswinkel leider von der Re-Zahl ab. Verwendet man Kennzahlunepfindliche Profile, so liegt die erreichbare Genauigkeit daher an der oberen Grenze. Bei grosser Abhängigkeit von der Re-Zahl muss man sich mit mittleren Genauigkeiten begnügen.
Anmerkung:
Mit der Erweiterung um den Pfeileinfluss nach Prof. Boris Laschka eignet sich das
Verfahren ausgezeichnet zur Berechnung von planaren Flügeln wie z.B.
Hortennurfügel.
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